Die sozialdemokratische Partei ist die traditionsreichste deutsche Partei. Seit über 140 Jahren setzt sie sich für Freiheit und soziale Gerechtigkeit ein. Wie keine andere Partei steht die SPD für Demokratie und Fortschritt. Ihre Wurzeln reichen bis in die Zeit der Revolution von 1848 zurück.
1848: Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung
Die Frühindustrialisierung und das Bevölkerungswachstum lösen in den
Staaten des Deutschen Bundes Massenverelendung und tiefe
Strukturveränderungen der Wirtschaft aus. Noch widerstehen die
Regierungen dem Verlangen des Volkes nach nationaler Einheit und
Demokratie. Oppositionelle Bestrebungen werden scharf unterdrückt. Kurz
vor und in der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49
formieren sich erstmals zwei Strömungen der organisierten
Arbeiterbewegung: der recht kleine Bund der Kommunisten unter Führung
von Karl Marx und Friedrich Engels vornehmlich im Westen Preußens sowie
die Arbeiterverbrüderung mit annähernd 15.000 Mitgliedern unter der
Leitung von Stephan Born vornehmlich in Berlin, Sachsen und in Teilen
Nord- und Süddeutschlands. Erste Gewerkschaften entstehen. Die
Revolution scheitert, und die Anfänge der organisierten Arbeiterbewegung
werden unterdrückt.
1863 – 1869: Gründung der Arbeiterparteien
Während zwischen Revolution und Reichsgründung die
Industrialisierung ungemein an Fahrt gewinnt, liberalisiert sich das
politische Klima nach einem Thronwechsel in Preußen. Ferdinand Lassalle
gründet 1863 in Leipzig den „Allgemeinen deutschen Arbeiterverein“,
der sich auf dem Gothaer Kongress 1875 mit der 1869 von August Bebel
und Wilhelm Liebknecht in Eisenach gegründeten „Sozialdemokratischen
Arbeiterpartei“ zur „Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“
vereinigt.
Zum Teil eigenständig, zum Teil durch die Anstöße dieser
Parteibildung, formiert sich die deutsche Gewerkschaftsbewegung in
Berufsverbänden vornehmlich in der zweiten Hälfte der 1860er Jahre.
1871 – 1878: Reichsgründung und Sozialistengesetz
Die Gründung des Deutschen Reichs nach dem Krieg gegen Frankreich,
unter Führung Bismarcks und Preußens, führt zu einem starken
Wirtschaftsboom, in dem die Gewerkschaftsbewegung belebt wird. Diese
und die Arbeiterparteien erleiden fortan zum Teil koordinierte
Unterdrückungsmaßnahmen durch die konservative Reichsleitung, die
Regierungen der Bundesstaaten und weite Kreise der Unternehmerschaft.
Nach zwei Attentaten auf Kaiser Wilhelm I., mit denen Sozialdemokraten
nichts zu tun hatten, bringt Bismarck 1878 das Sozialistengesetz im
Reichstag durch. Mit ganz wenigen Ausnahmen – die Reichstagsfraktion
besteht weiter – werden alle sozialistischen und freigewerkschaftlichen
Bestrebungen verboten. Sozialdemokraten werden zu „vaterlandslosen
Gesellen“ erklärt, das vertieft die Spaltung der Gesellschaft im
Kaiserreich.
1890 – 1891: SPD und Gewerkschaften im Aufwind
Durch die Industrialisierung nimmt der Anteil der Arbeiterschaft an
der Erwerbsbevölkerung im Deutschen Reich rasch zu. Trotz des
Sozialistengesetzes bleibt die Sozialdemokratie eine politische
Bewegung, die Unterstützung bei der arbeitenden Bevölkerung findet. Als
das Sozialistengesetz nicht wieder verlängert wird, erreicht die SPD –
so heißt sie seit 1890 – bei den Reichstagswahlen 1890 mit 19,7 Prozent
der Stimmen den höchsten Wähleranteil. Sie gewinnt fortan durchgängig
an Wählerstimmen hinzu, steht 1912 bei 34,8 Prozent und bildet nun auch
die stärkste Fraktion im Reichstag. Die Gewerkschaften, deren
Entwicklung in der Zeit des Kaiserreichs eng mit der SPD verbunden ist,
formieren sich 1890 neu und erzielen seit 1895 ungeheure
Mitgliederzuwächse.
Auf dem Erfurter Parteitag 1891 wendet sich die SPD eindeutig hin zu
marxistischen Annahmen und Überzeugungen. Das „Erfurter Programm “
lehnt sich in seinem theoretischen Teil an die Gesellschaftsanalyse von
Marx und Engels an und fordert in seinem praktischen Teil
unverzügliche, tiefgreifende Reformen in Wirtschaft, Politik und
Gesellschaft. Mit Veröffentlichungen von Eduard Bernstein, Karl
Kautsky, Rosa Luxemburg und anderen setzen seit dem Ende des 19.
Jahrhunderts scharfe interne Auseinandersetzungen über die theoretischen
Grundlagen und den politischen Kurs der Sozialdemokratie ein. Im
Vorfeld der Sozialdemokratie entfaltet sich eine breite
Arbeiterkultur-Bewegung mit zahlreichen Kultur- und
Freizeitorganisationen. Vor allem gründen sich eigene Organisationen für
die Belange der sozialdemokratischen Frauen und Jugendlichen. Diese
Vereine und Verbände verstärken die Bindung der Mitglieder an die
Sozialdemokratie. Unter den sozialistischen Parteien, die sich 1889 in
Paris zur sogenannten II. Internationale zusammengeschlossen haben,
erringt die SPD eine Führungsrolle.
1891 – 1914: „Sozialistengesetz“ und Parteiverbot
Von Bismarck (1815-1898) zum „Reichsfeind“ gestempelt, wurde die SAP
durch das Gesetz „wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der
Sozialdemokratie“ 1878 verboten. Desgleichen wurden alle Organisationen
der SAP, ihre Presse und die von ihr aufgebauten Gewerkschaften durch
dieses „Sozialistengesetz“ verboten, die Reichstagsfraktion jedoch blieb
weiter bestehen. Ausnahmegesetze, polizeistaatliche Unterdrückung und
Terror konnten den Aufstieg der Sozialdemokratie aber nicht verhindern.
Unter dem „Sozialistengesetz“ verdreifachte die Partei ihre Stimmen
und erhielt 1890 bei den Reichstagswahlen mit knapp 20 Prozent erstmals
die meisten der abgegebenen Stimmen. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts,
der gegen sie gerichteten Wahlbündnisse der bürgerlichen Parteien
sowie der sie stark benachteiligenden Wahlkreiseinteilung erhielt sie
als stimmenstärkste Partei jedoch nur 35 der 391 Mandate. Die
Verfolgung unter dem „Sozialistengesetz“ hinterließ in der SAP tiefe
Verbitterung und machte marxistische Ideen attraktiv und populär. Nach
der Nichtverlängerung des „Sozialistengesetzes“ gründete sich die SAP
1890 offiziell als Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) neu.
Das 1891 verabschiedete Erfurter Programm vertrat einen dogmatischen
Marxismus, gegen den die sozialreformerische Politik der Freien
Gewerkschaften sich jedoch immer stärker behauptete. Unbeschadet des
innerparteilichen Streits um die richtige Theorie war die SPD die mit
Abstand mitgliederstärkste Partei vor dem Ersten Weltkrieg und stellte
1912 erstmals auch die stärkste Reichstagsfraktion. Die SPD war vor
allem die Partei protestantischer und konfessionsloser
Industriearbeiter, aber sie hatte auch im Mittelstand Anhänger. Keine
andere Partei unterhielt im Kaiserreich ein so dichtes Organisationsnetz
von Vereinen, keine andere Partei prägte das soziokulturelle Milieu
ihrer Anhänger so wie die SPD das der Arbeiterschaft. Noch vor dem
Ersten Weltkrieg entwickelte sich im Reichstag eine parlamentarische
Zusammenarbeit zwischen der SPD und den bürgerlichen
Mitte-Links-Parteien, auf regionaler Basis hatte es bereits vorher
Koalitionen gegeben.
1914 – 1919: Weltkrieg und Revolution in Deutschland
Obwohl die SPD nach ihrem Programm eine Partei bleibt, die
revolutionäre Veränderungen in Wirtschaft und Politik fordert, wirkt
sie teilweise in den Kommunen, in manchen Ländern sowie insbesondere
mittels ihrer engen Verbindungen zu den Gewerkschaften an konkreten
Reformvorhaben mit. Nicht zuletzt unter dem Einfluss der Gewerkschaften
entscheidet sie sich bei Ausbruch des von Deutschland maßgeblich
mitverursachten Ersten Weltkrieges für die Unterstützung des Reichs in
der militärischen Auseinandersetzung. Diejenigen Teile, die diesen
„Burgfrieden“ nicht mittragen wollen, gründen zunächst den
Spartakusbund und, seit 1917, die Unabhängige Sozialdemokratische
Partei Deutschlands (USPD) . Anfang 1919 entsteht aus einem lockeren
Parlamentsbündnis die Weimarer Koalition, das Regierungsbündnis aus
MSPD , Zentrum und Deutscher Demokratischer Partei, aus dem das erste
Reichskabinett der Weimarer Republik hervorgeht. Bis zu den
Reichtagswahlen im Juni 1920 verfügt die Koalition über eine
parlamentarische Dreiviertelmehrheit. Als im Zuge der militärischen
Niederlage eine breite Volksbewegung die deutschen Monarchien
hinwegfegt, übernehmen die Mehrheits- und die Unabhängige
Sozialdemokratie (MSPD, USPD) im „Rat der Volksbeauftragten“ die
Reichsleitung und führen, von den Mehrheitssozialisten unter Friedrich
Ebert vorangetrieben, allgemeine, gleiche Wahlen zu einer deutschen
Nationalversammlung durch.
Erstmals gibt es in Deutschland ein Frauenwahlrecht, das die SPD
schon im Erfurter Programm 1891 gefordert hatte. Als erste Frau spricht
Marie Juchacz 1919 in einem deutschen Parlament. Im Zuge der
Revolution werden die Gewerkschaften endlich von der Unternehmerseite
als Tarifpartner anerkannt. Friedrich Ebert wird Reichspräsident. Die
SPD wird zur maßgeblichen politischen Kraft auf dem Boden der Weimarer
Verfassung, die sie als demokratische Grundordnung in weiten Bereichen
mitgestaltet hat.
Am linken Rand der politischen Arbeiterbewegung formiert sich an der
Jahreswende 1918/19 die KPD als neue, revolutionäre Kraft. Die KPD
wird, indem sie den linken Flügel der Unabhängigen Sozialdemokraten an
sich bindet, zur Massenpartei und gerät bald unter den Einfluss des
sowjetischen Kommunismus. Die reformorientierten Teile der USPD
vereinigen sich 1922 wieder mit der Mehrheitssozialdemokratie.
Scheidelinie zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten ist die Frage
der Demokratie; die Kommunisten streben eine Diktatur nach sowjetischem
Vorbild an.
1919 – 1933: Spaltung – Kampf um Demokratie – Niederlage
Die Frühzeit der Weimarer Republik ist von scharfen innenpolitischen
Auseinandersetzungen um den Versailler Friedensvertrag und um die
Konsolidierung der neuen Machtverhältnisse im Innern des Reichs geprägt.
Mit Hilfe eines Generalstreiks gelingt es im Frühjahr 1920, den
reaktionären Kapp-Lüttwitz-Putsch niederzuschlagen. Erst in der zweiten
Hälfte der 1920er Jahre stabilisiert sich das politische System. Die
SPD kann, etwa im Bereich des Arbeitsrechts und der Sozialpolitik,
wichtige Reformen durchsetzen, die einen modernen Sozialstaat zum Ziel
haben. Sie führt die Regierungen in einer Reihe von Bundesstaaten, vor
allem Preußen, und wird auch in vielen Großstädten bereits zur
wichtigsten gestaltenden politischen Kraft. Mit dem Hereinbrechen der
Weltwirtschaftskrise ab 1930 erstarken die extremen Kräfte in der
deutschen Politik. Die Arbeitslosigkeit nimmt ein nie gekanntes Ausmaß
an. Begünstigt durch konservative und reaktionäre politische Kreise, die
bis weit in das bürgerliche Parteienspektrum hineinreichen, gewinnt
die extreme Rechte in der Hitler-Bewegung ungemein an Einfluss. Die
anhaltende Spaltung der deutschen politischen Arbeiterbewegung , die
sich alltäglich in scharfen Auseinandersetzungen dokumentiert,
begünstigt diesen Aufstieg, verursacht ihn aber nicht. Ende Januar 1933
wird Hitler Reichskanzler. Der Terror der Nationalsozialisten gegen
Kommunisten und Sozialdemokraten, später auch gegen bürgerliche Kräfte,
setzt ein. In der Abstimmung im Reichstag über das Ermächtigungsgesetz,
mit dem alle bürgerlichen Parteien Hitler formell zum Diktator machen,
bäumt sich die deutsche Sozialdemokratie unter Führung von Otto Wels
als einzige politische Kraft gegen die NSDAP auf.
1933 – 1945: Widerstand und Emigration
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung werden
Sozialdemokraten wie auch andere Gegner des Nationalsozialismus
verhaftet, misshandelt, ermordet. Führungskräfte der Sozialdemokratie
halten als Exil-Parteivorstand (Sopade) zunächst von Prag, später von
London aus die Führungsstruktur der Sozialdemokratie aufrecht. Sie
versuchen, Kontakt zu halten und, wo das möglich erscheint,
Widerstandszirkel zu organisieren. Solche Widerstandsgruppen bilden
sich vielfach im Arbeitermilieu, teilweise auch unter dem Einfluss
linkssozialistischer Gruppen.
Die Sozialdemokraten, die seit den frühen 1920er Jahren energisch
gegen die Hitler-Bewegung gekämpft haben, setzen den Kampf fort und
versuchen im Prager Manifest von 1934, die demokratischen Kräfte zu
bündeln. Trotz Annäherungen gibt es keine Einigung mit den
kommunistischen Exil- und Widerstandskräften. Sozialdemokraten und
Gewerkschafter wie Julius Leber und Wilhelm Leuschner beteiligen sich an
dem gescheiterten Aufstandsversuch vom 20. Juli 1944.
1945 – 1949: Neubeginn und Teilung
Die Zerstörung Deutschlands durch die nationalsozialistische
Diktatur führt am 8. Mai 1945 in die bedingungslose Kapitulation und in
die Aufteilung des Deutschen Reichs in Besatzungszonen. Unter Kurt
Schumacher, der eine Vereinigung mit den Kommunisten kategorisch
ablehnt, formiert sich in den Westzonen die SPD als eine
demokratisch-sozialistische Volkspartei, die eine Öffnung zu den
Mittelschichten anstrebt. In der Ostzone gelingt es der KPD unter
Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht mit Unterstützung der sowjetischen
Machthaber, die starken sozialdemokratischen Kräfte in ein
Parteibündnis zu zwingen (Zwangsvereinigung 1946 ) und die SED als
diktatorische Einheitspartei zu konstituieren. Mehr als fünftausend
SPD-Mitglieder werden verhaftet, Tausende müssen flüchten. Kommunisten
besetzen die Schlüsselpositionen der neuen Partei, und der Freie
Deutsche Gewerkschaftsbund gerät unter deren Herrschaft. In den
Westzonen können sich die Gewerkschaften zunächst unter der Aufsicht
der Westalliierten neu formieren. Sie überwinden ihre
richtungsgewerkschaftliche Spaltung und bilden 1949 in München den
Deutschen Gewerkschaftsbund als Einheitsgewerkschaft, die
parteipolitisch unabhängig ist, gleichwohl aber in ihren Zielen vielfach
mit der Sozialdemokratie übereinstimmt.
1949 entstehen die Bundesrepublik Deutschland und die DDR; am Bonner
Grundgesetz, das in den Verfassungsberatungen des Parlamentarischen
Rats vorbereitet wurde, haben Sozialdemokraten, allen voran Carlo
Schmid , maßgeblich mitgewirkt. Die SPD erreicht im Westen bei den
ersten Wahlen zum Deutschen Bundestag 29,2 Prozent der Stimmen. Mit
ganz knapper Mehrheit kann die CDU die Führung der jungen Republik
übernehmen, während die SPD sich in der Rolle der „konstruktiven
Opposition“ sieht. Sie wird nach Schumachers Tod 1952 von seinem
Nachfolger Erich Ollenhauer geführt, der sich erfolgreich um den
innerparteilichen Zusammenhalt von Funktionären und Mitgliedern bemüht,
dessen Erfolg bei den Bundestagswahlen.
1949 – 1969: Wiederaufbau, Kalter Krieg, Westintegration
Als Oppositionspartei im Bundestag gewinnt die SPD in den 1950er
Jahren immer stärkeren Einfluss in den Städten und Ländern.
Außenpolitisch zunächst von dem Vorrang der Wiedervereinigung geleitet,
lehnt sie – obgleich prinzipiell proeuropäisch orientiert – Adenauers
Westpolitik ab. Sie bejaht die Römischen Verträge und schwenkt Ende der
50er Jahre auf den Kurs der Westintegration ein, ohne das Ziel der
Wiedervereinigung aus den Augen zu verlieren. In der DDR haben am 17.
Juni 1953 gegen den Massenaufstand von Arbeitern nur noch sowjetische
Panzer die Herrschaft des SED-Regimes gerettet: Der Aufstand wird blutig
niedergeschlagen. 1961 vollendet der Mauerbau auch physisch die
Spaltung des Landes.
Die SPD verabschiedet 1959 nach einem längeren kontroversen
Diskussionsprozess das Godesberger Grundsatzprogramm und öffnet sich
damit endgültig zur Volkspartei. Sie gewinnt breite Wählerschichten
hinzu, nicht zuletzt aus kirchlich gebundenen Kreisen. Willy Brandt und
Herbert Wehner führen die Partei in die Regierungsverantwortung –
zunächst ab 1966 im Rahmen einer Großen Koalition mit der CDU, seit
1969 in einer sozial- liberalen Koalition mit der FDP. Dem gehen
wichtige Veränderungen auf der Ebene der Bundesländer, so 1966 die
Übernahme der Regierungsverantwortung in Nordrhein-Westfalen, und 1969
die Wahl des Sozialdemokraten Gustav Heinemann zum Bundespräsidenten
voraus. In den meisten Großstädten der Bundesrepublik hat die SPD in
den 1950er und 1960er Jahren das Vertrauen der Mehrheit der Wähler in
der Kommunalpolitik gewonnen.
1969 – 1982: Reformen, Demokratie, Frieden
Die Zeiten sind reif für den Aufbruch aus konservativer Erstarrung
und für Reformen und neue Wege der Friedenssicherung und Entspannung.
1969 wird Willy Brandt der erste sozial-demokratische Bundeskanzler der
Nachkriegsgeschichte. Er ergänzt die Westintegration durch die „neue
Ostpolitik“, die durch Verträge mit der Sowjetunion, Polen, der
Tschechoslowakei und durch einen Grundlagenvertrag mit der DDR, der
durch weitere Verträge ausgefüllt wird, zu einem geregelten
Nebeneinander mit den kommunistisch regierten Ländern führt. Sie
erreichen Erleichterungen für die Menschen in Deutschland und stärken
die Verbindungen zwischen den beiden Teilstaaten. Für diese Politik, an
deren Entwicklung auch Egon Bahr einen wichtigen Anteil hat, erhält
Willy Brandt am 10. Dezember 1971 den Friedensnobelpreis.
Ende der 1960er Jahre kann sich die SPD zugleich an die Spitze
starker Reformkräfte der westdeutschen Gesellschaft setzen, die auch
von der Studentenbewegung in Gang gesetzt worden sind. 1972 erringt
Willy Brandt einen überzeugenden Wahlsieg. In diesem Jahr gründet sich
die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) und überholte
Rechtsnormen, z.B. der § 218, werden reformiert. Die Regierung nimmt
das Verlangen nach Gleichberechtigung der Frau ernst und wird Anwalt
eines modernen Ehe- und Familienrechts. Nach Enttarnung eines
DDR-Spions im Kanzleramt übergibt Willy Brandt 1974 das Amt des
Bundeskanzlers an Helmut Schmidt . Unter sozialdemokratischer Führung
wird in den 1970er Jahren die Herausforderung des Links-Terrorismus
überwunden, und es gelingt der sozial-liberalen Regierung, die Folgen
der Ölkrisen und andere weltwirtschaftliche Turbulenzen zu meistern.
Die Politik dieser beiden sozialdemokratischen Kanzler für ein
modernes Deutschland mehrt die soziale Gerechtigkeit durch den Ausbau
des Sozialstaats und verschafft der Bundesrepublik Deutschland
internationales Ansehen. Die Sozialdemokratie führt eine intensive
Debatte über Abrüstung, Rüstungspolitik und Friedenssicherung.
1982 – 1989: Opposition, Erneuerung, deutsche Wiedervereinigung
1982 verlässt die FDP die sozialliberale Koalition und verschafft
den Unionsparteien die Mehrheit in Bonn. Die SPD wird auf die Rolle der
Opposition zurückgeworfen und beginnt einen anhaltenden Prozess
programmatischer Erneuerung, in dem sie ihre Rolle als demokratische
Partei in einem hochentwickelten Industrieland neu definiert und
Antworten auf die Herausforderungen durch die neuen sozialen Bewegungen
formuliert. Als politische Kraft erstarkt sie in den Landtagen und
übernimmt Regierungsverantwortung in der Mehrheit der Länder. Obwohl
1987 Willy Brandt den Vorsitz der Partei in die Hände von Hans-Jochen
Vogel übergibt, bleibt seine Stimme in der Politik von Gewicht.
Sie wird besonders deutlich gehört, als 1989 die Berliner Mauer
fällt – „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“ -, die
kommunistischen Diktaturen zusammenbrechen und die beiden deutschen
Staaten vereinigt werden können. Noch unter der SED-Diktatur wird in
der DDR von mutigen Bürgerrechtlern wie Markus Meckel und Martin
Gutzeit die SDP (Sozialdemokratische Partei in der DDR ) als
Bruderpartei der westdeutschen SPD gegründet; noch vor der
deutsch-deutschen Vereinigung verschmelzen 1990 beide Parteien.
1990 bis 2005: Die Zukunft gewinnen
1989 wird in Berlin ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet, das
die Ergebnisse der gesellschaftlichen und innerparteilichen Diskussion
zur sozialen und ökologischen Erneuerung der Industriegesellschaft
bündelt. Nach einer Phase, in der die Sozialdemokratie ihre Position in
den Ländern ausbaut, doch bundespolitisch in der Opposition bleibt,
werden „Innovation und Gerechtigkeit“ die Leitbegriffe, unter denen die
SPD unter der Führung von Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder die
Bundestagswahl am 27. September 1998 gewinnt. Der
neue Bundeskanzler
Gerhard Schröder und seine Koalition aus Sozialdemokraten und Grünen
nehmen sich ein ehrgeiziges Reformprogramm vor, das auf die Korrektur
sozialer Ungerechtigkeiten, die Ordnung der zerrütteten Staatsfinanzen,
eine umfassende Steuerreform und Investitionen in Zukunftsaufgaben
zielt. Nach dem Rücktritt Oskar Lafontaines von allen seinen Ämtern wird
Gerhard Schröder im April 1999 auch Parteivorsitzender. Der Berliner
Parteitag im Dezember 1999 bestätigt ihn in diesem Amt und wählt Franz
Müntefering zum neuen Generalsekretär der Partei. Die SPD war an der
Jahrhundertwende wieder die wichtigste gestaltende politische Kraft in
Deutschland. Unter sozialdemokratischer Führung hat eine umfassende
Modernisierung der deutschen Gesellschaft im europäischen Kontext
begonnen.
Das Kabinett Schröder setzt wichtige Akzente für einen
gesellschaftspolitischen Aufbruch: Familien rücken in den Mittelpunkt
vieler politischer Initiativen und profitieren so von spürbaren
Entlastungen. Bildung und Forschung werden massiv gefördert – die
Investitionen für die Verkehrsinfrastruktur erreichen einen noch nie da
gewesenen Spitzenwert. Damit Deutschland wieder zusammenwächst, wird
der Solidarpakt verlängert und die Ausgaben für den Aufbau Ost werden
erhöht. Außenpolitisch hat die Regierung Schröder große
Herausforderungen zu meistern: Im Kosovo-Konflikt sind deutsche Soldaten
erstmals an einem militärischen Einsatz beteiligt. Ein souveränes
Deutschland findet eine neue, verantwortungsvolle Position in der
internationalen Politik. Am 11. September 2001 erschüttern die
Terroranschläge auf das World Trade Center und das Pentagon in den USA
die ganze Welt. Deutschland ist von Beginn an ein wichtiger Partner in
der als Reaktion auf den Anschlag gebildeten „Koalition gegen den
internationalen Terrorismus“. Nach der gezielten Bekämpfung der
fundamentalistischen Taliban-Regierung begleitet die deutsche Regierung
im Verbund mit den europäischen Nachbarn den friedlichen und
demokratischen Neuanfang in Afghanistan.
Europa ist enger zusammengewachsen; zum 1. Januar 2002 wird der
gemeinsame europäische Wirtschaftsraum auch für die Menschen erfahrbar.
In einer beispiellosen Währungsumstellung wird der Euro erfolgreich
als gesamteuropäische Währung eingeführt. Am 22. September 2002 gewinnt
Rot-Grün die Bundestagswahl. Die SPD wird zum dritten Mal stärkste
Partei im deutschen Bundestag. Unter der Kanzlerschaft Gerhard
Schröders macht sich die SPD auf den Sozialstaat zu erneuern, um ihn zu
erhalten.
2005 bis Große Koalition
Nach mehreren verlorenen Wahlen auf Kommunal- und Landesebene stellt
Kanzler Gerhard Schröder die Vertrauensfrage. Die SPD hatte zuvor nach
über 40 Jahren die Regierung in Nordrhein-Westfalen verloren. Trotz
eines Riesenrückstands in den Umfragewerten gelingt der SPD unter der
Führung von Gerhard Schröder eine beispiellose Aufholjagd und die
Verhinderung von einer CDU/FDP-Koalition im Bund. Schließlich bildet
sich eine Große Koalition unter der ersten Kanzlerin der
Bundesrepublik, Angela Merkel, und der SPD als „Juniorpartner“. Die
Koalition steht vor der Herausforderung, trotz einer dringend
notwendigen Haushaltssanierung Deutschland zukunftsfest zu machen und
dabei weiter in den Sozialstaat sowie Bildung und Forschung zu
investieren.